26.04.2017 Estella-Torres del Rio



Wetter sieht kalt aus und paar mal wird es wohl regnen.

Ich bin sehr zuversichtlich, also hier erstmal die Statistik.


Strecke: 28,6

Schritte: 34.548

Höhe: 583m 63 St.

Blasen: 0


Von mir aus darf es gleich mal langsam los gehen. Das Bein hat die ganze Nacht weiter gemacht, und die Wärme hat irgendwie nix geholfen! Also habe ich um 3:00 Uhr mal ein nasses kaltes Handtuch drum gewickelt, um es mal mit Kühlrn zu probieren. So gegen 5:00 Uhr hab ich es dann wieder abgemacht und hatte ein wenig das Gefühl, dass es besser wird.

Wach geworden bin ich so gegen 8:20 Uhr und es ist okay. Langsam fertig machen, Sachen sortieren und es wird mit jedem Schritt besser.

Warum? Das ist seit gestern meine Frage.

Warum mache ich das?

Warum so lange? 

Warum mit Schmerzen?

Warum so langsam?

Warum kann ich nicht einfach gehen und abends irgendwo kaputt ankommen?


Wo? Ist nicht meine Frage! 

Wo bin ich gerade?

Wo will ich hin? 

Wo ist das Ziel?

Wo bleibt der Spaß? 

Das weiß ich alles, das passt schon.


Gläubig bin ich ja nun nicht wirklich. Dass ich aber dann auch ab und zu mal das Gefühl habe, zwischen Himmel und Erde ist noch irgendwas, das kommt schon häufiger vor. Aber mit Gott geredet hab ich bis jetzt nur gaaaanz selten. Gestern hatten wir, nachdem Harald mich alleine gelassen hat, eine Menge Monologe zusammen. "Reicht es dir denn nicht, deine Schäfchen auf den Weg zu schicken?" "Musst du dann den Weg auch noch so scheiße machen, dass man sich dabei die Knochen kaputt macht?" "Oder ist der Weg wohlmöglich gar nicht von dir sondern von Menschen gemacht..." "Die Gläubigerzahlen sind rückläufig und mit so einem Weg willst du dann welche zurück gewinnen?"


Ich zahle ja wirklich gerne meine Kirchensteuer, weil die Kirche viele Projekte unterstützt, die sonst keine Unterstützung hätten. Aber bei dem, was ich da zahle, überlegt man schon, ob man mit dem Geld nicht lieber eine Organistation direkt unterstützt und ganz aus der Kirche austritt. 


Dafür bin ich ja auch auf dem Weg, um mal was von ihm zu hören! Einfach, um zu spüren, da ist wirklich etwas und ich zahle gerne weiter. 

Tag 6 beginnt und ein bisschen Zeit hat er ja noch, mich zu überzeugen, dass nicht Darwin Recht hat, sondern er! 

Oder, dass vielleicht das Ding zwischen Himmel und Erde einfach nur ein riesiger Alien-Teenager ist und wir sind nur der Hamsterkäfig von dem Kind. Das würde zumindest die ständigen Kriege und Katastrophen erklären! Ist ja sonst nicht spannend genug im Käfig! Oder ihr kleiner Bruder hat mal wieder am Käfig gerüttelt!


Jeder gläubige Pilger würde sicher sagen, dass mir Harald geschickt wurde,um mir den Spiegel vor zu halten und um mir zu zeigen, wie man aussieht, wenn man aufgibt... Ich sage, das war einfach Harald mit meiner Kondition - genauso schlecht vorbereitet, aber einfach mit viel weniger Biss. 


Apropos Biss, 9:50 Uhr kurz noch den Rest von gestern essen und dann geht es los! 😁👍



Geht mal ganz gut. Der Weg ist angenehm und hat nicht ganz so fiese Stellen wie die letzten Tage! Mein Knie und ich haben sich auch irgendwie arrangiert.


Irache Wein Brunnen... Check

Azqueta... Check

Villasowiso... Check

Und jetzt die 12 km ohne Ort nach Los Arcos und dann noch 8 km und schon bin ich da.

Los Arcos... Check

Cerveza... Check

Und auf zum Endspurt.

8 km leichter Weg und wenn dann der Körper meint, es ist genug für heute, werden die letzten 2 km zur Quälerei.



Bis zum Kloster von Irache geht es gepflastert auf und ab. Also ist das nicht so der perfekte Weg für meine Knochen! Dazu kommt, dass mein Hotel auch noch etwas ab vom Camino lag und ich deshalb gestern 1 km mehr und dadurch natürlich auch heute gleich 1km laufen musste, um zurück auf den Camino zu kommen. Den Kilometer  hätte ich mir beim Übernachten in einer Herberge am Weg sparen können! Aber solange ich mit den Beschwerden unterwegs bin, brauche ich abends wirklich meine Ruhe.

Dann geht man automatisch (zumindest ich) an dem Busbahnhof vorbei und ich komme mal wieder ins Grübeln: 25 Minuten im Bus für das, wofür ich immer 9-10 Stunden brauche... Ist schon verlockend! Nöö!

Pott Wein in Irache und es kann langsam weiter gehen. Bei der Zeit, um die ich immer erst starte, bedingt dadurch, dass meine Maschine doch zur Zeit leider noch erst sehr träge in Gang kommt und viel Überredungen nötig sind, um los zu kommen, hab ich den Weg für mich alleine. Auf dem Weg heute waren es vieleicht 12 Pilger. Also, man kann den Camino auch in Ruhe gehen und die viel gehörte Pilgerautobahn ist es denn hier nicht wirklich. Zumindest nicht um die Zeit.



Nach Irache geht es weiter über gut zu laufende Wege ohne viel Geröll. Richtig angenehm, mal so laufen zu können. Auf und ab ist auch heute, wie immer mit dabei, aber nicht so fies wie an den anderen Tagen. Ich überhole ein Mutter-Tochter-Gespann aus Deutschland und komme sehr gut mit den Schmerzen klar - und in Azqueta an. Eine Gruppe mit drei Engländern bricht gerade auf und zwei ältere Dame sitzen noch bei ihrem Kaffee. Den Kaffee hatte ich heute noch gar nicht. Also wird das hier kurz nachgeholt! Sehr lecker hat die Frau aus dem kleinen Cafe das Teil mit ihrer Siebträger-Maschine hin bekommen. Ich bin wirklich überrascht wie gut hier der Kaffee schmeckt, bis jetzt dachte ich wirklich den besten Espresso gibt es in Italien aber die Spanier können das mindestens genauso gut!


Auf dem Weg in den nächsten Ort werde ich von zwei jungen Deutschen eingeholt, die mich fragen, ob alles okay sei?! 

Naja die Frage kenne ich ja schon zur Genüge...

Wir kommen kurz ins Gespräch, als von oben die beiden älteren Engländerinnen wild winkend uns auffordern zu warten... Der eine von beiden geht den Damen entgegen, und die haben wohl einen Pilgerführer gefunden, den offensichtlich die drei Engländer liegen gelassen haben. Sie bitten uns, den mitzunehmen, da wir etwas schneller sind und wohl eher auf die drei treffen könnten. Nach 2 km und ein wenig gemeinsamen Austausch über unsere Beschwerden, kommt doch tatsächlich einer wieder zurück. Er hat wohl gemerkt, dass ihm das Buch fehlt. Ich wäre sicher nicht wegen eines Buches 2 km zurück gelaufen. Da die beiden Deutschen etwas überladen sind (sie 12kg, er 18kg) komme ich bergauf wieder schneller voran. So verabschiede ich mich von einem der wenigen Treffen heute. Gut komme ich nach einer weiteren recht leichten Etappe im nächsten Ort an, bevor es auf die 12 km nach Los Arcos geht. Die drei Engländer füllen am Brunnen ihre Flaschen auf und wir kommen kurz in ein Gespräch. Wieso ich junger Kerl denn so langsam und humpelnd unterwegs bin... Ich bin 50 und kein junger Kerl - aber das will der Redelsführer von der Gruppe nicht hören und erwidert gleich:"Pah, wir sind alle über 70! Was sollten wir denn dann da sagen...". Scheint doch ein Wetbewerb zu sein hier!

Ich sage ihm nur, dass, wenn ich mal 70 und schon lange Rentner bin, ich sicherlich auch viel besser wandern kann...

Na weiter geht es! Die drei vor mir und der Abstand wird langsam größer.



Bei Kilometer 2 von 12 kommt ein Brunnen, und es wird endlich mal wieder etwas gegessen. Rest Brot und Käse, egentlich zu wenig für so einen Weg, aber bis auf eine Banane ist nix mehr da für die nächsten 10 km.

Irgendwo im Nirgendwo kommt eine mobile Bar mit Essen und Trinken. Aber Wasser ist noch genug da, und ich gönne mir meine letzte Banane ohne mir dort was zu Essen zu kaufen. Ich hab wirklich wenig Hunger hier auf dem Weg trotz der ganzen Anstrengungen. Es geht weiter, weiter weiter... Endlos scheint der Weg hier zu sein! Bis an den Horizont schlängelt sich die helle Linie des Weges. Einfach unfassbar - dreimal am Tag bis zum Horizont und immer weiter!

Die letzten Meter werden nicht einfacher, aber der Gedanke an ein Bier hilft ein klein wenig dabei, Los Arcos zu erreichen. 

Los Arcos ist ein hübscher kleiner Ort und kurz vor dem Ortsausgang gibt es dann das wohlverdiente Bier mit gefrorenem Schaum... man glaubt es nicht, aber da war eine Eiskrone aus Schaum auf dem Bier. Lecker war es trotzdem!



Die 8 Kilometer nach Terros del Rio gehen sich zuerst ganz angenehm. Aber mir wird nach einem Telefonat mit meinem Bruder, der sich sehr freut, mich mit nicht mehr so niedergeschlagener Laune zu sprechen... wird mir klar, das ich lieber hätte in Los Arcos bleiben sollen.

Nach dem Tag ohne Regen, aber oft sehr kalt und mit viel Wind, bin ich schon einiges gewohnt. Aber hier ist es echt windig und frisch, also den Buff über Ohren und Mund und den Reißverschluss der Jacke ganz hoch. Nach 5 Kilometern wird es schleppend und ich merke, dass für mein Bein eine Übernachtung in Los Arcos doch besser gewesen wäre. Mein rechter Knöchel meldet sich auch mit "Aua" an und beide Fußsohlen brennen mittlerweile dermaßen, dass ich in Uelzen jetzt die 2000 (Taxi) gewählt hätte.

Maps behauptet, es seien 50 Minuten zu Fuß, aber ich brauche das doppelte. 1,5 km Landstraße bergauf zum Dorf - was man seit dem Verlassen von Los Arcos schon vor Augen hatte. 

Auf der Landstraße sitzt eine dicke Maus, die dort offensichtlich Selbstmord begehen möchte, mitten auf der Fahrsprur und lässt sich auch von mir nicht erschrecken oder dazu bewegen, die Straße zu verlassen...

So, Ort erreicht und klasse, das ist er doch noch nicht! Weitere 200 Meter durch den Ort ein wenig verlaufen und wieder zurück und 400 Meter steil und steinig bergab komme ich endlich völlig kaputt in Torres del Rio an. Von der Freude, die ich den größten Teil heute auf dem Weg hatte, ist leider nix mehr übrig.

Warum höre ich nur nicht auf meinen Körper? Los Arcos wäre Echt OK gewesen für eine Übernachtung.



Wow, was für ein tolles Hotel, Zimmer top!

Im Innenhof ein kleiner Pool, sehr neu und chick das Ganze - und das in diesem malerischen Ort. Hat schon was!

Für die Tour durch Spanien, auf den Spuren vom Jakobsweg (mit dem Leihwagen) wäre das ein Stopp, den ich auf jeden Fall empfehlen kann.

So, jetzt aber kurz frisch machen und erstmal runter zum Essen.



Ja, sooo geht es auch.

Das hilft einem zumindest ein wenig weiter, wenn es auch nicht das Knie repariert.

Nach dem Essen geht es direkt aufs Zimmer und mit W-lan mal versuchen, ob das mit Skype klappt. Sehr schön, mal wieder seine Lieben von zuhause direkt zu sehen und zu sprechen.

Im Anschluss liege ich noch etwas grübelnd im Bett und finde keine Kraft, mehr irgendwas aufzuschreiben.