21.04.2017 St.Jean-Roncsevales


Die Pyrenäen werde ich nicht in eins überqueren. Nach etwas Lesen im Netz werde ich gemütlich nach dem Mittag starten und nach 9 km in Orisson die erste Herberge aufsuchen. Das Ganze sollte in 2,5 - 4 Stunden auch für mich zu schaffen sein. Naja... mal sehen.
Laut Mailauskunft von der Herberge ist das Buchen für die Saison 2017 erst ab dem 15.11.2016 möglich und ich werde direkt am 15.11.2016 dort per Mail reservieren. 
Laut Statistik und meiner Hochrechnung starten in dem Zeitraum Ende April ca. 80-140 Personen in SJPdP pro Tag. Bei einer Kapazität von 28 Betten kann es sicher nicht schaden, rechtzeitig zu buchen. Die Preise lagen 2016 bei 35 Euro für die Nacht + Abendessen + Frühstück.
01.04.2017

Nach ein paar mal Probewandern und auch über 8 km am Stück bin ich zu dem Entschluss gekommen, nicht in Orrison zu reservieren und bis Roncsevales durchzumarschieren. 7 km sind mir für den ersten Tag dann, glaube ich, doch etwas wenig... wenn es sich an dem Tag anders ergeben sollte, kann ich immer noch fragen, ob da was frei ist oder mir auch irgendwo unterwegs einen Schlafplatz draußen herrichten.

21.04.2017


Schritte: 39180 gesamt, nur auf dem Weg etwas weniger

Strecke: 29,2 km nur der Weg

Höhe: 234 Stockwerke ca. 1600m

Zeit: 11:04 Okay, mit vier Pausen, aber bleiben 9,5 Stunden Gehen (Okay,manchmal war es gehen)

Blasen: 0


Aufstehen 6:00 Uhr! Frisch machen und ab zum vorerst wahrscheinlich letztem vernünftigen Frühstück. Typisches Hotelfrühstück allerdings. Etwas sehr Baguette lastig, aber bis auf das Rührei alles top.

Baah, dieses gelbe matschige Etwas hätte ich nicht probieren müssen. Da hat der Blick eigentlich schon gereicht, aber manchmal glaubt man sich einfach selber nicht und das hat dann die eine Gabel auch voll bestätigt.

Na denn mal runter, Taxi bestellen, und los geht es...



Das Taxi kostet dann gleich 9,30 Euro, bevor es überhaupt los fährt und insgesamt 28 Euro für eine Strecke von Holdenstedt bis zur Zuckerfabrik, also wenn es hoch kommt 6-8 Kilometer.

Am Bahnhof von Bayone sieht es dann zum ersten Mal direkt nach Pilgerreise aus. 15-20 andere mit Rucksack ausgestattet "Pilger" und auch Asiaten mit Mundschutz sind dabei und warten auf den Zug... den es zwar nicht geben wird, sondern einen Bus, weil vor geraumer Zeit ein Stein auf die Gleise gefallen ist und seitdem nur noch Busse pendeln. Aber auch das ist ohne Französischkenntnisse schnell bekannt.


Asiaten tragen den Mundschutz übrigens nicht aus Spass oder um nicht krank zu werden, sondern aus Höflichkeit und Respekt anderen Personen gegenüber um im Falle einer Krankheit, die eigene Bakterien nicht zu verteilen...


Der Bus füllt sich so langsam und man schaut in viele skeptische (oder einfach nur müde) Gesichter. Das sind sie nun, meine ersten Begleiter für die nächsten 35 Tage...



Das Pilgerbüro war schnell gefunden, denn wenn man bei der Busfahrt aufpasst und sich den Weg merkt, ist es nur ein Katzensprung. Der nette Man konnte sehr gut Deutsch und hat mir alle nötigen Informationen zum Weg gesamt und speziell zur ersten Etappe gegeben. Dann gab es noch für eine kleine Spende meine Pilgermuschel, die gleich ihren Platz am Rucksack gefunden hat. Die ganze Stimmung im Ort und das Gewusel der Pilger überall hatte schon etwas sehr Besonderes, zumindest wenn man da irgendwie zugehört.

Eigentlich könnte es losgehen, jedoch musste ich noch kurz das Hotel besuchen, in dem ich ja eigentlich schlafen wollte, um nach meinem Päckchen zu fragen. Der junge recht freundliche Mann nahm gerne meine Entschuldigung für die Probleme entgegen und teilte mir mit, dass er bis 24:00 Uhr auf mich gewartet hatte... Tja, da muss Booking oder auch er selber wohl noch ein wenig an der Komunikation arbeiten. Mein Päckchen (Gasflasche für den Kocher) hat er, den Müll kann ich da lassen, und so kann es jetzt los gehen.

Nachdem ich das Dorfende erreicht habe, merke ich, dass mein Rucksack nicht wirklich optimal gepackt ist. Gehe schnell in eine Bäckerei, um Wasser und ein bisschen Kuchen für meinen 15:00 Uhr-Kaffee zu besorgen und mache mich auf den Weg zu einer Parkbank um erstmal Ordnung in die Gewichtsverteilung zu bringen (wird nicht das letzte Mal sein).

Knüpfe dabei kurz den ersten Kontakt zu einem älteren Italiener, der eine Parkbank weiter dasselbe macht. Wir tauschen kurz aus, wo wir her kommen und dann will ich auch los.

Fühlt sich alles toll an... NOCH!

Bleibt auch toll. Die Schmerzen hingegen, die an dem Tag immer neue Wege gefunden haben, mir zu sagen: "Hier bin ich!" sind nicht so toll, aber gehören bei so einem Couchpotato wie mir sicherlich dazu.

Nach ein paar Kilometern treffe ich auf Pater Sebastian aus einem Benedictiner Kloster, der mit einem riesigen Rucksack mit Satteltaschen unterwegs ist. Der sieht nicht nur schwer aus, sondern ist laut Sebastian mit 18 Kg ohne Wasser auch nicht wirklich leicht. Da er deutlich fitter wie ich ist, trennen sich schnell unsere Wege - aber nicht, bevor er mir seine gefühlte halbe Lebensgeschichte in 20 Minuten erzählt hat. Ein Schwede und ein Italiener, beide Mitte bis Ende 20, überholen mich recht fix mit dem üblichen "Buen Camino" und einem kurzem "na, wo kommst du denn her?" auf englisch. Der Schwede sagt mir zwar seinen Namen, aber gibt auch gleich bekannt, dass dieser kompliziert ist und sein Nachname noch schlimmer wäre... ich konnte mir keinen von beiden merken.

Eine Schwäbin kann ich dann auch überholen, also bin ich doch nicht der Langsamste. Okay, die hatte eine kaputte Hüfte und wollte nach 4 Km schon Stopp machen, um dann morgen weiter zu laufen. So schafft die den Weg nach Roncsevales nicht, denn nach Orison bei 8 km kommt nix mehr zum Schlafen außer 2 x Notunterkünfte.


Auf meinem Hut steht dick und fett  'Brasil', also was liegt nahe, als den Typen zu fragen "are you from Brasil?", wenn ich dann mit "no, from Germany!" antworte, habe ich die Lacher auf meiner Seite. Juliana und Valentin irgendwo aus dem Osten (leider das Land nicht richtig verstanden) geben mir bekannt: "Egal wie du heißt, für uns bist du nur der Brasilianer!".


Die Ankunft in Orrison fühlt sich toll an. Erstes Etappenziel geschafft! Zwar mit viel Quälerei, aber irgendwie ging es ja doch. Bis hier hin hat sich mein Fluchen und Meckern echt noch in Grenzen gehalten (zum Schluss waren es bis Roncsevales weit über 100 FUCK und diverse andere Wörter).

Kurz was zu Essen und Trinken geholt, und als ich zurück komme, bin ich nicht mehr ganz alleine an meinem Tisch und werde erstmal gefragt: "Are you from Brasil?" - "No, from Germany!" - "Ei, denn können wir ja Deutsch babbeln. Ich bin der Nobby aus Frankfurt". Ein Hesse durch und durch. Er ist mit vielen Pausen mein Begleiter für den Rest des Tages. Sein Trinkwasser wird mit allerlei Medikamenten, Schmerzmitteln und Magnesium aufgewertet, um mit seinen 70 Jahren den Weg zu schaffen.



Bergauf wird nicht besser! Aber nach Orrison, was ja gerade 8 Km und 600 Höhenmeter waren, geht er eigentlich noch ganz gut. Ich überhole zum zweiten Mal ein Paar. Sie kann nicht und er darf nicht. Also sie macht ständig Stopp und er muss auf sie warten. Aber er scheint das wirklich gerne für sie zu machen.

An einem Platz mit traumhaftem Ausblick gibt es den ersten Kaffeestopp. Toll! Kaffee und Kuchen gegen 15 Uhr mitten in den Pyrenäen - für nix einzutauschen!


Jetzt so langsam fängt der Weg an weh zu tun! Kein Sonnenschutz drauf! Also partielle Rotfärbung in typischer Maurerbräune-Optik und die Hüften mögen so allmählich das Gewicht vom Rucksack nicht mehr. Na, sind ja auch schon 12 km von 26...

Hinter jeder Kurve hoffe ich auf eine gerade Strecke und keine Steigung mehr, aber den Gefallen will mir der Weg einfach nicht machen. Irgendwann taucht in der Ferne noch ein Stück auf, was nicht mehr asphaltiert ist und ziemlich steil nach oben geht. Mörderstrecke! Das Fluchen vermehrt sich deutlich, auch komische Geräusche begleiten mich jetzt öfters. Bin mir nicht sicher, wo dieses Krächtzen her kommt. Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass ich meine Treckingstöcke liebe? Ohne die hätte ich die erste Etappe wahrscheinlich gar nicht geschafft. Wasser wird knapp und keine Spur von der einzigen Quelle hier oben, dem Rolandsbrunnen. Gerade rechtzeitig taucht der Brunnen auf bei ca. 19 km. Wasser auffüllen, Kopf unter den Hahn , falls ich es schaffe da runter zu kommen. Ich kann mich kaum setzen oder bewegen - es geht mit einmal gar nix mehr! Ich versuche,mich hinzulegen, was sicher jeder 120-Jährige lockerer geschafft hätte und hab echt Mühe, nicht einzuschlafen. Da ich erst um 10 Uhr los bin, ist außer mir und ab und an der Nobby, kaum bis gar keiner unterwegs. Platzwechsel - zurück zum Rucksack. Besser ist rein gar nix geworden. Auch 15 Minuten liegen hat nix gebracht und da taucht auch schon Nobby auf, seit Kilometern ist er jetzt schon ohne Wasser unterwegs. Kurz quatschen wir zusammen, er bekommt noch eine Flasche von mir und da ich schon lang genug da bin, mache ich mich auf den Weg - und bin mir, so wie Nobby gerade aussieht, nicht sicher, ob er das noch packt.


Na, was soll ich sagen - es geht bergauf! Irgendwann kommt die Nothütte Isengard, wo ich nur  zwei Fotos mache und direkt weiter gehe, da ich befürchte, beim nächsten Stopp einfach liegen zu bleiben. Ach ja, es geht übrigens bergauf. Nur ab jetzt etwas steiler - und mit Schotter. Ich habe dem Weg jetzt schon bestimmt 20 x gesagt, dass ich nicht mehr bergauf kann und es hinter der nächsten Kurve doch bitte mal geradeaus gehen kann. Der hört einfach nicht auf mich!


Von oben kann ich dann entfernt erkennen wie sich Nobby gerade die Not Hütte anschaut, also ist er mir doch noch auf den Fersen.



Irgendwann nach 22 km hat man dann die 1440 Höhenmeter erreicht und freien Blick auf das Kloster von Roncsevales.

Ich kann das Ziel sehen, will aber trotzdem nicht mehr. Bin ja auch schon fast neun Stunden nur bergauf gelaufen!

Erstmal hinlegen und mit zuhause telefonieren, um neuen Mut zu bekommen. Dann höre ich Nobbys Stimme und nach einer kurzen gemeinsamen Pause machen wir uns auf den Weg. 

Bergab bin ich ja heute noch nicht gelaufen - und merke schnell, dass es noch schlimmer ist als das Bergauf. Es gibt zwei Wege runter. Wir wählen den längeren, nicht ganz so steilen Weg und mit vielen Knieschmerzen kommen wir dank Nobby, der mich sehr gut angetrieben hat, gegen 20:20 Uhr in Roncsevales am Kloster an.

Ich bin so platt und will erstmal nur sitzen. Da kommt der völlig unfreudliche Herbergsvadder oder Aufseher und macht erstmal Kommando "WOLLT IHR HIER SCHLAFEN ODER WAS?". Bis eben hatte ich es eigentlich vor! Aber so eine Begrüßung nach dem Marsch kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Wäre ich nicht so platt gewesen, hätte ich dem erstmal was erzählt. Na okay, den Stempel können wir ja wohl haben, denken wir uns so. Aber offensichtlich weit gefehlt! Der General gibt uns zu verstehen, Stempel nur für die, die dort schlafen. Ich glaube, ich spinne! Okay, dann trage ich mich doch mal ein und in der Zeit lästert der Idiot mit seiner Kollegin erstmal über uns ab "mit was für Leuten man es hier zu tun bekommt... blablabla...". Tja, mein Holländisch (kann ich nicht) ist aber leider gut genug, sodass ich fast jedes Wort verstehe - was ich mit einem kurzen 'si" auch zu verstehen gebe. Der ist erstmal so perplex, dass er uns direkt die Stempel gibt, ohne zu kassieren. So haben wir unseren Stempel und er hat zwei Gäste weniger, denn wir sind weg.

Ein paar Meter weiter in ein Hotel - nach so einer Strapaze brauche ich mir so einen Vollpfosten echt nicht anzutun. Traurig für das Kloster, dass dort solche Mitarbeiter arbeiten, die das nötige Feingefühl auf der Strecke gelassen haben. Dann kann er ja gleich am Autoscooter an der Kasse arbeiten! Da erwarte ich keine Freundlichkeit!

Das Hotel ist okay. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Essen, was auch schon in 10 Minuten beginnt. Also nur kurz hoch, raus aus den Sachen, kurze Hose und Flipflops an, schnell die Füße waschen und ab zum Essen - für 10 Euro kommt jetzt und hier also das erste Pilgermenü.


Es gab eine grüne Suppe, die nach grün ohne Salz geschmeckt hat. Ich kann beim besten Willen nicht sagen, was der Ursprung für die grüne Farbe war! Mit etwas Salz und Pfeffer...

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wurde es auch nicht besser! War dann dickflüssiges grünes Wasser mit Salz und Pfeffer-Geschmack! Da hat auch Weißbrot stippen nix geholfen. Dazu gab es Nudeln mit roter Sauce und Wurststückchen. Abgesehen davon, dass ungefähr sieben Minuten vor Ende der Kochzeit die Nudeln Aldente gewesen wären, ging das mit etwas Nachsalzen dann aber. Danach hatten wir die Wahl zwischen Fisch oder Huhn. Ich hatte den Fisch! Der ist dreimal gestorben, aber ich hatte Hunger. Für die gelben matschigen wabbeligen Kartoffelstäbchen (sollten wohl Pommes werden) hat mein Hunger nicht gereicht. Aber okay, macht satt. Dazu Wasser und Rotwein 'bis Meppen' und zum Nachtisch noch einen Yoghurt. Der wäre etwas für Ela gewesen. Aber sowas von ohne Fruchtstückchen! 

Ein Bier mit Nobby als Absacker und für heute ist es genug. Mal schauen, was morgen kommt. Ich werde ja nicht um 7 Uhr geweckt und um 8 Uhr rausgeschmissen - und Frühstück gibt es auch! Also kann es ja gar nicht so schlimm werden.

So wie Nobby sagt will er gerne mit mir zusammen weiter gehen und irgendwie überhört er meine Sätze, das ich Morgens erstmal alleine los muss um meinen Weg und Tempo zu finden. Mal schauen das wird sich schon finden.

N8