21.05.2017 Melide - Pedruzo



Schritte: 44.904
Strecke: 37,9 km 
Zeit: 10:53
Höhe: 679 m hoch 818 m runter
Blasen: 0

So, nun ist der vorletzte Tag da. Es ging jetzt zum Schluss doch deutlich schneller als gedacht oder geplant, obwohl ich zum Schluss von Tag zu Tag immer deutlich weniger geplant habe. Es scheint sich eine Routine im laufen einzustellen.


Nur gelaufen bin ich die letzten Tage - wie auf der Flucht. Wenn das Ziel dichter kommt, dann treibt einen das scheinbar an.


 


Das Wetter sieht gut aus. Es ist leicht bewölkt, aber doch warm genug, um mit kurzer Hose so gegen 6:50 Uhr die Herberge zu verlassen. Noch vor Sonnenaufgang ist es dank den Wolken doch noch recht finster draußen und das Laufen mit den Flip-Flops will heute auch keinen richtigen Spaß machen. Die Riemen scheuern nach über 100 km mit den Schlappen. Oben auf den Füßen und am rechten Zeh ist auch noch eine kleine offene Stelle von gestern, die das auch sicher nicht bis Santiago mitmachen wird.

Eigentlich komme ich überhaupt nicht richtig in Gang. Es geht so schleppend und das Wetter ist so drückend. Ich weiß wirklich nicht, ob ich dem Wetter oder den fünf Halben und dem einen Havana die Schuld geben soll...



Nach 6 km gibt es einen Kaffee und ich wechsle zurück auf meine festen Schuhe.

Ist auch blöd, wenn man am Abend, um die Füße zu entspannen, seine bequemen Schuhe anziehen möchte. Das sind bei mir seit Tagen immer die selben. Da ist dann von Entspannung nichts mehr zu merken.


Nach 3,5 Stunden hab ich gerade mal 12 km geschafft. Ich mobilisiere all meinen Resereven und überrede mich selber, in den nächsten zwei Stunden mal Gas zu geben und 10 km draufzulegen.


Das klappt ganz gut und in dem Ort Azura halte ich mich so auch gar nicht weiter auf.

Nach Azura überhole ich einen alten Pilger. Als ich ein paar Meter vor ihm bin, fängt er an komische Geräusche zu machen.

Da sich Pilger immer und überall helfen und auch Sachen hinterher tragen, drehe ich mich sofort um, gehe zu ihm und frage,ob alles in Ordnung sei. "Yes, fine!" erwidert er. Ab und an gäbe er mal komische Geräusche von sich. Er bedankt sich dafür, dass ich auf ihn geachtet habe und nach einem kurzen Gespräch wollen wir gegenseitig wissen, mit wem wir es zu tun haben.

Jo, das war Heinz aus Deutschland, der mit Abstand älteste Deutsche ohne hörbaren Akzent. 76 Jahre alt und spricht ein perfektes Englisch. Unglaublich! Wir hätten sonst noch viel länger so weiter gesprochen, aber in Deutsch ist es mir sehr lieb.

Bis Kilometer 23 an einer Bar, wo wir beide Tortilla und Bier zu uns nehmen, ist Heinz ein sehr angenehmer Begleiter auf dem Weg.

Er will noch wissen, wie weit ich heute noch gehen will und ich sage ihm: "So 12 km noch!". "Okay, wollen wir die 12 km zusammen laufen?".


Wo nimmt der die Energie her?

Ich muss leider ablehnen, weil ich in dem Tempo nicht weiter laufen will und kann - und eigentlich hatte ich auch gehofft, dass Diane und Johannes bald mal hinter mir auftauchen.


Nach 10 Minuten mache ich mich weiter auf den Weg und schleppe mich eher voran. Von Wandern ist heute so rein gar nix zu sehen. Es grummelt und sieht auch irgendwie nach Sommergewitter aus. Deshalb ist es auch so fürchterlich drückend. Wasser muss ich heute sogar ab und an kaufen, weil ich soviel trinken muss und dafür einfach zu wenige Brunnen auf der Strecke vorhanden sind.



Der Duft von den Eykalypuswäldern durch die hier der Weg ständig führt ist einfach unglaublich.

Irgendwie kommt mir der Camino so vor, als wenn er es doch gerne mal übertreibt.


Wenn schöne Landschaft, dann so schön, dass es schon fast weh tut.

Wenn Schmerzen, ja dann auch richtig.

Wenn es duftet, dann aber so was von geballt.

Wenn an der Straße, dann auch gleich Kilometer lang.

Bloß keine halben Sachen - Herr Camino...


Am Ziel von den beiden Berlinern in Salceda treffe ich noch auf Heidi und wir reden kurz, bevor ich mich weiter zum nächsten Ort aufmache. Hier kann ich nicht bleiben. Das ist mal wieder nicht mein Ort: an der Straße, laut und überhaupt nicht schön! Nach 30 km kommt es jetzt auch nicht mehr drauf an.

Und da taucht endlich Johannes auf, bleibt aber leider gar nicht groß stehen, sondern geht direkt zur Herberge. Naja schade, aber die wollten  ja auch hier bleiben. Also gehe ich weiter und er ruft von der Herberge aus: "KOMMT DA NOCH WAS?". Ja, in 4 km Santa Irene! Wenn es mir da auch nicht gefällt: nach weiteren 3,5 km O Pedruzo.

Er verschwindet in Richtung Herberge und ich mache mich alleine auf den Weg.

Tja, nicht lange! Da wollte er jetzt auch nicht bleiben und so sind wir zusammen auf dem Weg. Nach der halben Strecke steht da eine Bar und wir machen erstmal eine Pause... Also ich! Denn Johannes muss erstmal warten, bis Diane dort ist. Sonst läuft sie weiter und findet uns in der Bar nicht, da diese sich doch etwas abseits vom Weg befindet.

Nach 20 Minuten sitzen wir alle zusammen und zwei Reisegruppen- und Rollkoffer-Pilger mit Tagesrucksack aus Deutschland setzten sich zu uns.

Die Geschichte der beiden ist nicht relevant, aber sie klagen ihr Leid und ich denke mir nur "Tag 31 mit Rucksack, ohne Reiseleiter... was zum Geier macht ihr hier eigentlich?!". Sie hört sich so gerne reden und beide sind so in ihrer Geschichte, dass keiner von beiden auch nur eine der 100 Spitzen, die Diane auf die beiden abschießt, nur ansatzweise kapiert.

Die sind so mit sich und ihren Problemen beschäftigt - ohne Worte!



Fit sind wir alle drei nicht mehr und so fädeln wir uns in einer Reihe auf den Weg ein. Johannes vorne, Diane hinten - mit immer größer werdendem Abstand - und ich irgendwo in der Mitte. Jeder geht für sich, aber man ist doch nicht alleine.



In O Pedruzo gibt es ein kleines Hotel. Die beiden teilen sich eine Zimmer, und so wird die letzte Nacht nicht nochmal in einer Herberge geschlafen.

Schon 18:00 Uhr durch. Ich bin platt und so bleibe ich auf dem Zimmer und esse wie so oft meine Reste.

Das Bein wird wieder dick. Also geht es morgen dann doch mit den Schlappen weiter. Mal schauen, was ich mache, damit es nicht so scheuert. Eventuell geht es die 20 km ja auch nach einem Tag Pause wieder ganz gut.

 


Der Weg bis hier hin war mit dem Kontakt nach Hause und den vielen Telefonaten mit Ela (Die letzten Tage wurden das immer mehr) und auch dem Rest der Familie und Freunden für mich relativ leicht (mit Justin hätte ich gerne öfter gesprochen). 

Die Sehnsucht nach Frau und Kind war immer sehr präsent, aber es lässt sich auf dem Weg meist gut ertragen. Man ist mit dem Camino und allem, was auf ihm passiert, so sehr beschäftigt, dass man meist nicht die Zeit findet, um sich wirklich schlecht zu fühlen. Und an den Tagen, an denen es dann doch mal passiert, wird man dank Handy und Skype sehr gut und schnell wieder aufgefangen. Was meinen Engel angeht, da hat der Weg uns jetzt schon noch mehr zusammen geschweißt. 

Also nix mit den Weissagungen, die so manch einer vorher gemacht hat...


N8 und guten Flug!