02.04.2017



Schritte: 22.487
Strecke: 18,6km
Höhe: 487m
Zeit: 7:41
Blasen: 0

Moin erstmal! Die Nacht war, sagen wir mal, okay! Mit meinen Ohrenstöpseln hat man ein wenig Ruhe und bekommt nicht mehr allzu viel mit von den Geräuschen so um einen herum.
Schnarcher waren es ca. fünf (+mir?), davon einige ab und zu mal extrem laut!
Das Schlafen ging eigentlich sehr gut. Auch das Knie hat nur wenig Probleme gemacht.
Am Morgen geht es dann ab 5:30 Uhr los: Der Erste ist der Russe. Er macht sich aber sehr lautlos auf den Weg. Von 6:00 Uhr bis 7:00 Uhr ist dann Rushhour und alle geben alles! Es wird gewühlt, geraschelt, gecremt und Deo im Zimmer verteilt! Ohne Rücksicht auf andere! Acht Leute auf ca.18 m² !!! Da könnte man meinen, man nimmt Rücksicht! Aber außer dem Russen, dem deutschen Opa und dem kleinen Italiener (der auch um 6:30 Uhr noch kräftig am schnarchen ist) sind doch alle sehr unterhaltsam.
Blutflecken im Bad auf dem Boden. Das sind wohl Spuren von währed dem Morgengeschäft abgepulten Blasenpflastern. Das zeigt ganz deutlich: NIE OHNE BADELATSCHEN!!! Gekotzt wird auch am frühen Morgen. Gestern war es eine Frau. Jetzt ist es ein Mann, und der hält es nicht mal für nötig, irgendeine Tür zu schließen! So schallt es dann: "JÖÖÖÖRRRG" um 7:10 Uhr mehrmals durch das ganze Haus.
Ach was ist eine Pilgerreise doch schön...

Ich mache noch den Verband ab und werde mal heute testen, ohne zu laufen. Nach dem Besuch von Jörg verschiebe ich mein Frühstück auf später, irgendwo auf dem Weg.


Kalt und eher zugezogen ist das Wetter zur Zeit. So wird erstmal alles angezogen, was da ist. Hinter Rabe de las Caldazas beginnt offiziell die Meseta und ich bin sehr gespannt, wie es hier aussieht und läuft.


So da es am Ziel kein Internet gab und auch die Mobilen Daten nicht funktioniert haben, musste ich am Abend im Zimmer erstmal alles im Notizblock speichern und kopiere das jetzt einen Tag später nur noch hier rein... Die Schriftgröße und Farbe korrigiert Justin später, er weiß wie das ganz einfach geht.


Was für ein beschissener Tag. Gestern die 14 Kilometer gingen zwar nicht spurlos am Knie vorbei, aber es war okay. Heute kommt so ein kleiner scheiß Hügel und das Knie ist wieder da wie ich es kenne! Ich komme mal wieder kaum vorwärts und merke einfach, dass ich komplett den Spaß am Weg verloren habe. Eine Woche dieser Mist ist dann auch echt genug.

Klar bin ich nur am jammern, aber nach der Zeit zieht einen das echt total runter wenn es nicht endlich mal aufhört.


Aber von Anfang: Kalt ist es beim Verlassen der Herberge. Es geht fast nur gerade und der Weg ist auch nicht sonderlich schlimm. Okay, ein wenig steinig hier und da. Also man muss schon aufpassen, wo man die Füße hinstellt.

Die Meseta ist zumindest hier am Anfang auch lange nicht so kahl, wie ich es vorher immer gehört hatte, aber okay! Es ist Anfang Mai und noch kein Hochsommer. Naja, und die geht ja auch noch ein paar Kilometer. Die Landschaft ist mal wieder einfach nur schön. Das Auge schweift ständig in alle Richtungen bis zum Horizont, und der Weg kommt und geht immer bis dort hin.

Steinig aber grün, mit Feldern und Steinhaufen überall. Die Bauern müssen es hier sehr schwer haben bei den Steinen, die man im Boden und am Rand der Felder sieht.

Die ersten 5 km komme ich ohne Pause recht gut voran. Es geht immer leicht bergauf und wo es rauf geht, muss es auch wieder runter gehen. Tja, so kommt es dann auch.



Das Stück ist eigentlich nicht sonderlich schwierig für die 99% von mir, die gut funktionieren. Aber dieses eine Prozent, was sich Knie nennt, ist gleich wieder hellauf begeistert.

Tja, so kenne ich das. Trotzdem hatte ich doch die Hoffnung, dass sich nach den paar Tagen Pause eine deutliche Besserung eingestellt hätte. 'Fuck und seine Freunde' sind jetzt auch plötzlich wieder da. Ich bin echt frustriert! Schon wieder das Thema! Eine Woche lang nur immer Knie, Knie, Knie. Es nervt!

Ich eiere mal wieder so vor mich hin. Jeder, der mich überholt, fragt mich, ob alles okay sei... "Yes, it's okay!"."Really???"

Das muss ja schrecklich aussehen von hinten!? Dass mir das einfach niemand glauben will! Das Schlimmste ist geschafft. Es geht nur noch wenig bergab, aber mein Knie hat gelitten und geht nicht mehr rund. Ein Deutscher aus Nordhessen will überholen, wird aber wieder langsamer, um die entscheidende Frage zu stellen... Trommelwirbel!!!


"Alles okay?". 


Wir kommen ins Gespräch und er war wohl gestern auch in der selben Herberge wie ich. Bei ihm im Zimmer, welches Platz und Betten für vier Leute hatte, ist es schon eng genug gewesen. Aber als noch eine Dame kam und ein Bett brauchte, haben die da einfach noch eines in den Gang gestellt... Er hat genug Zeit. Rückflug ist für den 6.6. gebucht und er ist auch am 21.4., so wie icke, in SJPdP gestartet. "Wow, da legst du ja ein ganz gutes Tempo an den Tag. Wenn du so weiter gehst, bist du spätestens am 20.5. in Santiago. Was machst du denn dann die zwei Wochen?". Ja, das weiß er auch noch nicht so genau, mal schauen. Der sieht aus mit seiner Jeans, dem karierten Hemd und der ausgewaschenen Jeans-Weste - als wenn er gerade vom Trecker gestiegen wäre und einfach mal so los gelaufen ist. Nicht viel planen, nicht viel kaufen, einfach gehen. Toll, dass manch einer das einfach so kann! Wir reden viel über mein Knie und die letzten sieben Tage mit den Pausen, Bussen usw..Irgendwann fragt er mich :"Ja, macht das denn dann überhaupt noch Sinn? Wo bleibt denn der Spirit? Du bist ja gar nicht wirklich hier."


Irgendwie hat er Recht! Der Spaß am Weg ist dem ewigen "Was mache ich morgen? Wie geht es weiter?" gewichen.



Hmmm...


Schon wieder soweit, nur Sachen packen und kurz mal nach Hause, ist von hier...irgendwo im nirgendwo... auch nicht so einfach.

Erneut werden alle Möglichkeiten in Gedanken abgeklappert.

Netz ist hier nicht so toll. Also mal mit meinem Bruder telefonieren und die Situation schildern.


Ich kann ja nur bergab nicht! Fahrrad kaufen! Dann kann ich bergab rollen... Nicht wirklich ernst gemeint! Aber auch an sowas denke ich mittlerweile.


Weitere Etappen mit Bus hier und da mal überspringen will ich nicht. Dazu ist das mit den Bussen hier mir zu ... sagen wir mal "nicht deutsch genug"! Ein Fahrplan und erkennbare Haltestellen sind schon was tolles.


Nur die letzten 100 Kilometer! Tja, wo muss ich dann hin und wie sieht dort das Höhenprofil aus?

Flug nach Deutschland wäre 14 Tage vorher und ich hätte zumindest 300 Kilometer und am Schluss wenigstens Santiago erreicht.


Ganz aufgeben und zurück? Kommt eigentlich gar nicht in Frage... Okay, mal ein Telefonat mit meinem Physiotherapeuten. Eventuell kann er mir meine Angst nehmen, mir dauerhaft mein Knie zu schädigen, wenn ich das jeden Tag so weiter mache.


Also ihm kurz geschrieben: "Ruf doch bitte mal an, wenn du Zeit hast". Gegen Mittag klingelt mein Telefon und Björn lässt sich kurz erklären, um was es geht.

"Okay, wie du das beschreibst, ist dein äußerer Schleimbeutel ganz schön angeschlagen. Der braucht Ruhe! Okay, die hast du gerade nicht und wenn der ganz kaputt geht, ist es auch nicht schlimm. Du hast ja noch einen am Knie... Hahaha!"

Okay, er rät mir, wenn, dann die verkürzte Variante zu laufen. Zwei Tage mit dem Bus bis Sarria und ab da die letzten 100 Kilometer. Die zwei Tage kann mein Knie gebrauchen und die fünf Etappen zum Schluss müssen dann einfach klappen.


Tja, das soll es jetzt sein? Drei Wochen viel Bus -  300km! Aber wenigstens angekommen!

Das blöde Knie muss doch mal wieder werden! Mit dem Kolegen da oben habe ich ja schon ein paar mal gesprochen, aber wegen meiner Einstellung sicherlich den nötigen Ernst vermissen lassen. Einen Wunsch an das Universum habe ich auch schon gestellt, aber nix hat sich geändert. Okay, so wie es auf dem Planeten läuft, bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass, wenn es "IHN" gibt, dann muss der Typ ganz locker drauf sein. Sonst würde das ja hier auch ein bisschen besser laufen auf dem Planeten. Der Wohlstand wäre eventuell etwas gleichmäßiger verteilt und die ganzen Katastrophen und Kriege kann ja auch nur jemand zulassen, der sich gerade einen Joint oder eine Kiste Bier reingezogen hat. Deshalb auch meine Annahme, dass "ER" eigentlich ganz locker drauf ist...

Okay, der offizielle Weg, wie man seine Bitte stellt, ist ja laut Kirche ein Gebet. Dafür sollte man (denke ich mir) zumindest stehen bleiben und die Hände falten. Also stehe ich mitten in der Meseta mit gefalteten Händen und bete. Kann ja nix schaden und vielleicht waren meine Anfragen vorher wirklich im falschen Postfach gelandet, weil ich sie einfach nicht richtig adressiert hatte...


Die Variante "die letzten 100 Kilometer" kann ich ja auch 1-2 Tage später immer noch starten. Von Hontanas, meinem heutigen Tagesziel, geht sowiso kein Bus (wie mein Bruder für mich gegooglet hat).

Also Gedanken auf den Weg. Es geht zwar nicht mehr ganz so schnell, aber okay, was solls. Wenn alle Stricke reißen, kann ich ja auch noch einen Ort vorher in San-Bol übernachten. Die Landschaft ist einmalig und endlich finde ich auch mal wieder die Ruhe, etwas zu genießen und den Weg mit all seiner Schönheit auf mich wirken zu lassen. 

Dann stoße ich auf ein Schild 'San-Bol 800 Meter Herberge'... usw. Okay, das muss ja gleich hinter der kleinen Anhöhe da vorne sein. Jo, und dann kommt San-Bol, laut Pilgerführer eine Kult-Herberge! 

Nur wo ist der Ort? 

Mitten in der Mesata steht eine kleine Hütte mit einem kleinen Kuppelanbau und einem Holzwagen mit Solarzellen auf dem Dach und sonst nichts weit und breit.



Neeeee, so war das nicht geplant. Da möchte ich Heute nicht schlafen und gehe gerne noch die 5 km nach Hontanas.

Die Landschaft ist so beeindruckend und die Mengen der Pilger sind seit Burgos entweder gestiegen oder die Meseta mit ihrem weiten Blick lässt es nur so wirken. Denn überall vor und hinter einem sind immer Gruppen zu sehen.

Wie aus dem Nichts taucht auf einmal in einer Senke Hontanas auf. Was für ein traumhafter Ort. Wie gemalt! Unglaublich, dass es so etwas Schönes gibt.



Der Wege war steinig und schwierig. Ich glaube, er wird auch morgen kein leichter sein.

Aber irgendwie geht hier kein Bus, kein Internet, keine mobilen Daten! Absolut keine Chance, sich zu informieren, wie man von hier auf "die letzten 100 Kilometer" starten könnte.

Also entweder morgen ein Taxi und vernünftig sein oder "IHM" und meinem Knie noch eine Chance geben und noch 21km weiter bis Itro del la Vega. 460 Kilometer sind es noch. Ich gehe immer noch davon aus, es nicht zu schaffen bei meinem Tempo. Aber ich habe noch 23 Tage Zeit! Erst am 24. Tag, also am 26.05., geht mein Flieger. Das sind genau 20 km pro Etappe.


Irgendwas will mich einfach nicht aufgeben lassen. Um 19 Uhr gibt es lecker Essen und morgen sieht alles ganz anders aus.



Ein Einzelzimmer muss heute mal wieder sein. Die Herberge ist in einem tollen restaurierten alten Haus direkt am Ortseingang. Der Bereich für die Pilger ohne 'Einzelzimmer' macht hier auch wirklich einen sehr guten Eindruck.



Der Ort.



Das Essen, was dann folgt, beginnt sehr ruhig. Es wird aber ein sehr spaßiger Abend.

Es gibt wie immer Vor-, Haupt-, Nachspeise mit Wasser, Wein und Brot.

Der Salat ist grün und nichts, was einen umhauen würde. Aber die Paella, die wir dann bekommen, ist wirklich top!



Beim Einchecken wurde ich wegen des Essens gefragt für 9 Euro, ist aber begrenzt auf 12 Personen. Also später entscheiden kann schwierig werden!

Okay, gerne! Aber Ticket aufheben! Das wird beim Essen gebraucht! Ich wusste ja nur nicht, wie oft!


14 !!! Personen sitzen am Tisch. Alle hatten ihr Ticket gezeigt und deshalb einen Platz bekommen. Okay, hat wohl einer gepennt und zwei Tickets zuviel verkauft.

Nee, das wäre ja zu simpel und so beginnt ein ungewolltes Krimidinner!

"Wer sind die zwei ohne Ticket?"

Italiener, Deutsche, Amerikaner, Österreicher, ein Franzose, eine Engländerin und ein Australier bilden die Gruppe.

Es entstehen hier und da einzelne Gespräche und der Australier beginnt mit der Fragerunde "Na, wo kommst du denn her?" Man stellt sich gegenseitig vor und beim Servieren vom Salat wird zum zweiten Mal skeptisch geschaut und nach dem Ticket gefragt... Wir werfen uns die ersten Blicke zu - nach dem Motto "Wo ist das Problem?".

Man sieht die Crew vor der Küche wild gestikulieren, da hier offensichtlich irgendetwas so ganz und gar nicht stimmt.

Die Amerikaner haben deutsche Wurzeln in Trier und Hannover und sind sehr interessiert an "good old germany". Sie wollen erst einmal wissen, wie denn das Oktoberfest so ist...


STOPP! STOPP! Nee, nee, nee! Da muss ich jetzt erst einmal ganz dringend etwas klar stellen!


Oktoberfest is only Bavarian and Germany is not only Bavarian. Bavarian are 20% from Germany and the rest don't have leathertrousers and don't drink 1 liter beer in one Glass!


Sie ist ganz erstaunt: "Wie, du hast keine Lederhose?". Hier ist noch etwas Arbeit nötig, um zumindest zwei Amerikanern das Bild der Deutschen etwas zurecht zu rücken. Ich war kurz am Überlegen, ob ich sie mal fragen soll, ob sie denn eine Ku Klux Klan-Kutte hat... naja, besser nicht.


Die Engländerin und der Italiener schlagen auch gleich in die Kerbe und meinen: "Die Deutschen essen ja auch nur Kartoffeln und Wurst". Ich brauche mehr Rotwein. Das wird harte Aufklärungsarbeit heute!


Okay, vor der Hauptspeise mal die Tickets zeigen...

Und nachdem die Hauptspeise auf dem Tisch steht, werden die Tickets auch mal eingesammelt, um in der Küche nochmal zu viert nachzuzählen, was hier zum Geier nicht stimmt.

Ihr habt einfach zwei Tickets Zuviel verkauft!

Langsam beginne ich zu zweifeln, ob die jemals außerhalb dieses Dorfes waren. Das ist ja nun nicht wirklich schwer zu sehen, wo der Fehler liegt.


Die Paella ist sehr lecker und wir bekommen die Tickets zurück. Mittlerweile sind wir nur noch am Lachen, wenn der Kellner mal wieder etwas mit den Tickets hat und auch nach dem Verteilen steht er in der Nähe vom Tisch. Er schaut misstrauisch auf uns und sucht verzweifelt nach dem Fehler.

Sechsmal mussten wir unsere Tickets zeigen, pro Speise und Getränk einmal - aber luschtig wars.


Noch ein Bier zum Abschluss auf der Terasse und dann kann es auch endlich zufrieden ins Bett gehen.