22.04.2017 Roncsevales-Zubiri


Ich bin müde und besser fühle ich mich auch nicht!
Schritte: 34.852
Strecke: 27,97 km
Höhe: 78 Stockwerke 452m
Zeit: 9:00
Blasen: 0

Es ist 6:30 Uhr und ich würde gerne noch etwas schlafen. Aber die Unruhe, die sich im Hotel breit macht, lässt mich aufwachen. Bis 7:00 Uhr versuche ich noch zu schlafen. Ich kann aber nicht mehr als leicht dösen, da jetzt, wo ich wach bin, mein Körper mich auch versucht, wach zu halten. Ich bin ja schon froh, dass ich noch ein wenig dösen kann. Ab 7:30 wird es dann deutlich ruhiger. Der erste Schwung frühaufstehender Pilger ist wohl schon auf dem Weg. Nee ... Irrtum! War nur eine kurze Pause, es klappert wieder aus allen Ecken. Wie mag das wohl dann erst in den Herbergen sein? Aber Dank dem ach so freundlichen Hospitaliero bin ich ja gar nicht erst in die Versuchung gekommen. Echt schade, dass so jemand nur noch den Geschäftssinn vor Augen hat und die Pilger nur noch als Ware durchschleust. Der Typ hat auf jeden Fall das eigentliche Ziel aus den Augen verloren. Aber gut - wer kann es ihm verübeln bei über 180 Betten und noch Containern für den großen Ansturm im Juli und August! Da hat der bei 3-4 Monaten die Hütte voll, bei 2-3 Monaten die Hütte halb voll und im restlichen halben Jahr immer noch 20-30 Pilger pro Nacht und das mit - soweit ich weiß - 10 Euro die Nacht.   

Da kommt der dann auf 300.000 - 400.000 Euro im Jahr! Mit Souvenierverkauf, Einnahmen durch das Museum, Führungen durch das Kloster und die Kohle aus den ganzen Automaten machen die locker 500.000 Euro pro Jahr. Wer kann es da nicht verstehen, dass irgendwann nur noch der Geschäftssinn übrig bleibt.


Ich bin ja hier trotzdem im Kloster gelandet. Zumindest die Kohle geht da hin, denn der ganze Ort mit allen Hotels usw. gehört dem Kloster. Da könnte man ja schon fast vermuten, dass es sich um eine Masche handelt, um noch mehr Geld zu verdienen. Erst im Kloster vergraulen - und dadurch verdienen die ja nochmehr Geld durch das Hotel - na egal.

Ich mache mich jetzt zum Frühstück fertig und gehe dann in 30-40 Minuten los. Wo Nobby sein Zimmer hat, weiß ich gar nicht und kann auch nicht sagen ob er schon los ist, na zumindest komme ich so offensichtlich erstmal alleine auf den Weg und so muss ich Nobby auch nicht nochmal sagen, dass er mich bitte erstmal alleine lassen soll. Das laute, hektische hessische Gebabbel macht ihn zu dem Netten Typen der er ist, aber am frühen Morgen halte ich das noch nicht aus! Ich muss erstmal alleine los kommen und meinen Rhythmus finden.



9 Uhr - auf geht's :-)

Dank der Wegweiser weiß ich, dass es nach links weiter geht. Nach meinem Bauchgefühl wäre ich aber rechts gegangen, da der Weg viel sympathischer ausgesehen hat. Nach einem sehr reichlichen Frühstück kann es dann langsam, gemütlich, alleine und ruhig los gehen. Zuviel Hessisch und vor allem sein Tempo beim Reden hätte ich als Morgenmuffel keine 5 Minuten am frühen Morgen ertragen. Ich freue mich dafür auf ein Bier am Etappenziel mit Nobby. 

Der Weg führt durch einen schattigen kühlen Wald und es lässt sich sehr gut laufen. 

Wie gut es mir trotz aller Wehwehchen geht, merke ich daran, dass mir das Gebaumel meiner Wasserflasche am Rucksack tierisch auf die Nerven geht. Da war gestern nix von zu merken auf den letzten 18 km, denn da hatte ich ganz andere Sorgen. Und da klingelt das Telefon... der Nobby. Wir hatten gestern die Nummern ausgetauscht und ich hatte ihm auch direkt gesagt: "Ruf mich nicht an, schreib mir nur per WhatsApp, denn Anrufe will ich nicht auf dem Camino!". Hat ja toll geklappt! So begrüße ich ihn auch direkt mit: "Hatte ich nicht gesagt, du sollst mich nicht anrufen?". 

"Ei wo bist denn du? Also, ich warte hier auf dich die ganze Zeit, suche das Haus ab und keine Spur von dir. Ei, du hättest ja mal klopfen können." Er will am besten ohne Frühstück direkt los und fragt erstmal, was für einen Vorsprung ich habe, um mich noch einzuholen. Den Zahn muss ich ihm wohl ziehen und mache ihn nochmal freundlich darauf aufmerksam, dass ich Morgens erstmal so oder so alleine gehen möchte. Normalerweise merkt man das sofort, wenn jemand alleine gehen möchte. Manch einer merkt das offensichtlich selbst nicht, wenn es direkt gesagt wird.

Es geht sich erschreckend gut, aber noch geht es auch nur platt ohne Steigung oder Gefälle. 1,5 Stunden bin ich ganz alleine, bis ich an einer Steigung tatsächlich ein paar Leute überholen kann. Dann meint der Weg, es könnte ja mal runter gehen und das geht nicht! Füße brennen, Knie schmerzt und ich schlurfe mit 0 km/h nach unten. Und dann passiert es...

"Ei horsche mal, das geht ja gar ned, wenn man sieht wie du dich als den Berg runter quälst, des iss kei schener Anblick. Ich halte ja als immer an die Grenzstein, da stell ich dann mei Rucksack ab und mach a Foddo und dring was, bei letzten mal hab ich gar ned getrunke, da kame 2 Spanier und haben mir ne Mandarine angeboten, ei des war fantastisch, die war so saftig, des iss unglaublisch. Da vorne iss a Grenzstein, da stell ich erstmal mei Rucksack ab und werde was trinken, obwohl beim letzten habe ich auch nix getrunke... bla bla bla". Das klingt genau, wie der Glatzkopp von Badesalz und ich bin einfach zu platt für jede Art von Kommunikation. Er macht Stopp und ich gehe weiter in der Gewissheit noch 10-20 Minuten meine Ruhe zu haben. Als er mich einholt und mich überholt, sagt er, wir sehen uns dann gleich im Nächsten Ort in 2 km. Da holt er dann sein Frühstück nach. Okay, Arme sind verbrannt, der Nacken auch - ich wollte eh die Mittagssonne mit Siesta irgendwo im Schatten verschlafen. 12 Uhr, 10 km ohne Pause, Platz ist schnell gefunden und jetzt wird erstmal ein Nickerchen gemacht. Beim Tempo von Nobby kann ich eh nicht mithalten und so freue ich mich auf ein kühles Bier mit ihm und seinem Hessischen Geschichten zum Feierabend.



Mal schauen, was die Pause gebracht hat. Alles zusammen sammeln und wegen Sonnenbrand eine Jacke anziehen - auch wenn es dafür viel zu warm ist, aber geht nicht anders.



Die eine Stunde schlafen hat zumindest soviel gebracht, dass ich halbwegs aufstehen kann - also nicht wie der gerade wiederbelebte Jopi Hesters, sondern nur wie ein normaler 100 Jähriger! Es dauert noch eine ganze Weile, bis ich die paar Kilometer schaffe, da es weiter nur bergab geht. Da muss ich dringend dran arbeiten.


Am Ortsanfang war eine kleine Bar und ein großes Schild "Supermercado en Fin de Pueblo", also mal schauen, was mich am Dorfende erwartet. In den Dörfern hier kann eine Tankstelle mit Wursttresen schonmal als Supermarkt durch gehen.

Durch den Ort gehe ich mit zwei Engländern, die beide so in etwa mein Tempo haben. Auf der ersten Etappe hatte ich die auch schon ein paar Mal gesehen.

Okay, Supermarkt ist ewas übertrieben! Aber es ist alles da, was man braucht. Bis auf Huhn - ich hatte so in Gedanken vor, mir 300g Hühnerbrust in der  Pfanne anzubraten... Okay, bleiben wir bei dem Tier: Sechs Eier und eine Dose Cola soll dann jetzt mein Mittag sein, bei 1,40 Euro kann man ja auch nicht meckern.



Was kann einem doch bei dem Anblick von so vor sich hin bruzelnden Eiern das Wasser im Mund zusammen laufen, wenn man seit 6,5 Stunden nix mehr hatte und 14 km bei 31 Grad gelaufen ist. Ach ja, wegen Sonnenbrand gehe ich jetzt mit meiner Regenjacke, um die Arme vor der Sonne zu schützen. Auf dem nun folgendem Stück kann die Regenjacke gleich zeigen, was sie kann.  Es geht nur steil bergauf und die Jacke ist sowas von dicht! Kommt keine Feuchtigkeit raus!  Bleibt alles drin!  Allerdings tropft es etwas aus den Ärmeln! Als ich die höchste Stelle erreiche, lasse ich mich fallen und lege im Schatten fast alles ab:! Hose, U-Hose, T-Shirt! Alles nass  wie nach einem Gewitter! Was zum Geier mache ich hier eigentlich? Ach ja, seit ca. 2 Stunden bin ich auch wieder eifrig am Fluchen...


Okay, was soll's! Ab jetzt geht es nur noch bergab und das kann ich ja nunmal gar nicht. Aber so langsam habe ich kapiert, dass es nur mein linkes Knie ist, was da streikt. Das Knie, was, soweit ich denken kann, immer so 1-2 x im Jahr die Kniescheibe rausspringen läßt, :-) hört sich schlimmer an, als es ist. Es passiert nur, wenn das Bein extrem angewinkelt ist und dann muss ich einfach nur schnell aufstehen und das Bein strecken. Knackt dann einmal laut und das springt dann zurück. Tut auch nur ein bisschen weh, wenn man das schnell genug schafft. Aber offensichtlich hat mein Knie nicht nur das eine Problem, sondern ist begab ab einem bestimmten Gefällewinkel einfach nicht mehr belastbar. Ja super! Also liegt das nicht am "kaputt von gestern", sondern wird mich den ganzen Weg begleiten. Was mir der Tag gestern ganz deutlich gezeigt hat, ist, dass nichts unmöglich ist. Man muss nur ab und zu mal etwas umdenken und der innere Schweinehund ist nicht alleine. Der hat einen Keller und da kommen nach und nach seine Kumpels hoch und sind allzeit bereit!

Also muss ich wohl neu laufen lernen, zumindest bergab...

Ich habe es relativ schnell hinbekommen, einen Bergab-Laufstil zu entwickeln, der wirklich gut für mich funktioniert. Ich nenne ihn den "Jim-Knopf-Walk": Ich gehe wie die Figuren aus der Augsburger Puppenkiste mit dem linken Bein (steif) bergab. Sieht scheisse aus! Ich bin nicht schnell, aber es tut nicht mehr weh.

Dann treffe ich auf drei englische Damen, von denen die eine etwas hinterher hängt und auch ständig stehen bleibt. Auf ihrer Höhe kommen wir kurz in ein Gespräch. Ich bin ja der Meinung, dass es kaum besser ist als gestern. Sie meint allerdings, das wäre viel leichter, denn gestern war ja der Horror. Die sind um 10:30 Uhr los gegangen und haben 14,5 Stunden gebraucht! Die letzten 7 km sind die drei mit Stirnlampen gelaufen! Ja, ist die verrückt? Die sind erst um Mitternacht angekommen und 2,5 Stunden irgendwo in Spanien durch einen dunklen Wald gelaufen...

Einfach verrückt, was hier so auf dem Weg unterwegs ist.


Da treffe ich wieder auf Bruder Sebastian, der gerade eine 2-Stunden-Siesta beendet und am Packen ist. Nach einem kurzen Gespräch im Vorbeilaufen sage ich ihm: "Ich muss weiter! Wenn ich stehen bleibe, komme ich nicht mehr in Gang und du hast mich ja eh gleich eingeholt!" Im Jim-Knopf-Walk bin ich eben nicht der Schnellsteund so ist es dann auch - nach 30 Minuten ist er da und wir gehen mehr schweigend , da beide total kaputt sind, den Rest gemeinsam. 

Die erste Herberge im Ort hat den Hospitaliero, wie ich ihn mir vorstelle: freundlich, nett, hilfsbereit! Der wollte doch allen Ernstes unsere Rucksäcke nach oben tragen! Er gibt uns das letzte freie Zimmer und so teilen wir uns gemeinsam ein 2-Bett-Zimmer.




Die Dusche ist eine Tür weiter, der Blick auf den Fluss - hier stimmt alles! So macht Ankommen in einer Herberge Spaß. Nebenan das 4-Bett-Zimmer hätte mir auch gut gefallen.

Bruder Sebastian möchte gerne wissen wann ich morgen los will, da auch er offenbar meint jetzt eine Begleitung gefunden zu haben...

Auch ihm muss ich erklären, das es nicht böse gemeint ist, aber ich zur Zeit (2. Tag) erstmal noch alleine in den Tag starten möchte.

Bin ich da etwa so ein Sonderfall? Auch er scheint das nicht wirklich zu verstehen und macht mir den Eindruck als hätte ich ihm was Böses getan. 


Frisch gemacht und ab in den Ort Zubiri!  ich brauche dringend ein Bier. In einer kleinen Tapas Bar treffen wir auf Raffael aus Brasilien (die gibt es hier also wirklich). Netter, interessanter Typ! Hat viel erlebt und gemacht und somit auch viel zu erzählen. Dann kommt auch Nobby mit an unseren Tisch und er ist wohl sehr kaputt, denn er ist deutlich ruhiger als gestern. Er sagt mir erstmal, dass er sich tierische Sorgen um mich gemacht hat!  Ob ich überhaupt in Zubiri ankommen würde? "Ei, nachdem ich gesehe hab, wie du dich da als den Berg nunder geschlept hast, da dachte ich der kommt hier ned an". Ich erkläre ihm kurz meinen Jim-Knopf-Walk und er amüsiert sich köstlich: "Ei, iss doch egal wie scheisse das aussieht. Hauptsache, du kommst den Berg nunder".

Zwei Bier und ein paar Tapas später schließen wir die Runde und ich hoffe, Raffael morgen nochmal zu treffen, denn der hat sicher noch einige interessante Geschichten vom Camino auf Lager. Der bleibt dann drei Tage in Pamplona, will sich für den Weg (ist das zweite Mal für ihn) einfach mal mehr Zeit lassen, auch mal die Zeit nehmen um etwas mit mehr Ruhe anschauen zu können .Also wird man sich nach Pamplona eh nicht mehr treffen. 

Wieder fast zwei Stunden am Schreiben, aber noch früh genug, um genug Schlaf für die popeligen 20 km morgen zu bekommen. Wenn möglich, wollte ich nicht in der Mittagshitze laufen und in 5,5 Stunden so gegen 11:30 Uhr ankommen. Also um 6:00 Uhr los...


N8